Sanssouci by Andreas Maier

Sanssouci by Andreas Maier

Autor:Andreas Maier [Maier, Andreas]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
ISBN: 9783518420300
Herausgeber: Suhrkamp Verlag GmbH
veröffentlicht: 2009-11-14T23:00:00+00:00


Auf dem Kapellenberg

Anastasias Kirchgänge sahen folgendermaßen aus. Es begann mit einer gewissen Kleiderordnung. Einerseits zog sie sich möglichst schön an, andererseits aber benutzte sie dafür Kleidungsstücke, die noch aus Rußland stammten. In diesen Kleidern sah sie aus, wie früher alle ausgesehen hatten. Sie trug zum Beispiel eine bestimmte Art von hohen Schnürstiefeln, die man hierzulande, unter den Augen von Maja, Lee und den anderen, unmöglich anziehen konnte. Aber irgendwie gehörten diese Schnürstiefel dazu. Ob sich freilich in Omsk die Frauen nach wie vor so anzogen oder nicht (auch das Kopftuch gehörte unbedingt dazu), konnte Anastasia nicht sagen, denn ihr Leben in Rußland hatte ja vor unausdenklichen Zeiten stattgefunden, auch wenn es erst ein paar Jahre her war.

Im Spiegel sah sie, daß sie für jemanden wie Maja absolut grotesk wirken mußte. Dennoch war es schön und notwendig so.

Der Gang zum Kapellenberg war schwierig, da jederzeit die Gefahr bestand, irgendein Mitschüler oder eine Mitschülerin könnte sie so sehen und vor Lachen tot umfallen. Andererseits war sie einigermaßen davon überzeugt, daß sie sowieso niemand erkennen würde, weil man sie in dieser Gestalt niemals vermuten würde und das Kopftuch überdies Schutz bot. Erst auf dem Berg fühlte sie sich sicher.

In der Kirche waren viele von Anastasia beeindruckt. Das war nicht von ihr beabsichtigt, es lag an ihrem Aussehen und ihrer Art zu beten. Eigentlich nahm sie gar nicht so sehr am Gottesdienst teil, sondern stellte sich jedesmal vor eine von ihr sehr verehrte Madonnenikone, die an der rechten Seite der Kirche postiert war. Sie betete nach dem vorgeschriebenen Wortlaut und den vorgegebenen Wiederholungsmustern, und immer wenn sie an das Bekreuzigen kam, durchlief eine Welle ihren Körper. Sie betete inbrünstig zur Jungfrau, flehte um Vergebung für die geringsten Dinge und schwor Besserung und überhaupt stets den Beginn eines geläuterten Lebens (vor der Jungfrau begann für die Siebzehnjährige noch immer mit jedem Gottesdienst das Leben wieder von neuem). Nach der Meßfeier war sie erschöpft. Der junge Mönch, der seit einigen Tagen auf dem Kapellenberg war, blickte sie bei alldem nie an. Das fiel ihr auf.

Niemals hatte sich Anastasia Hofmann Rechenschaft darüber abgelegt, was ihr die Jungfrau Maria eigentlich bedeutete. Anastasia verehrte und achtete Vater und Mutter, und Maria war eine Metamutter, eine, die unbedingt alles für einen tat und der man unbedingt in allem gehorchen mußte, eben weil sie einen unendlich liebte. Die Ikone, die Anastasia zu Hause im Bücherregal stehen hatte, bedeckte sie nachts oft mit Küssen.

Heute war der Gottesdienst kurz ausgefallen, Klein hatte am Vormittag noch etwas in der Stadt zu erledigen gehabt. Nach dem Gottesdienst war es vor der Kapelle wie schon in den Tagen zuvor zu Gesprächen zwischen den Gemeindemitgliedern und dem jungen Assistenten gekommen, dem Mönch. Anastasia hatte eine Weile dabeigestanden und Bruder Alexej betrachtet. Sie fand den Mönch hübsch und stellte sich vor, wie es wäre, allein mit ihm zu sprechen. Und was sie dann reden würden. Sie würde ihm alles über ihren Glauben erzählen, denn mit der Familie konnte sie darüber nicht reden.

Später in der Stadt flogen ihre Gedanken



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